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Besuch aus Amerika – Nachfahren der Familie Lichtenstein in Oberwesel

Am 15. November 2021 besuchten die Nachfahren von Oberweseler Juden die Heimat ihres Vaters und Großvaters Karl-Heinz Lichtenstein. Er ist 1942 mit der ganzen Familie von den Nazis deportiert worden, doch hat das KZ überlebt.

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Seine Tochter Carole Skowronski, geb. Lichtenstein, sein Sohn Barry Lichtenstein und dessen Frau Esta mit ihren Kindern Charlie und Alyse Lichtenstein sowie deren Mann Cory Lubarsky erlebten hier einen emotionalen Tag.

Stadtbürgermeister Marius Stiehl begleitete die Besucher zu den Gräbern ihrer Vorfahren auf dem Jüdischen Friedhof an der Grauen Lay. Nachdem Doris Spormann, die schon vor Jahren einen genauen Friedhofsplan erstellt hat, ihnen die alten Grabstellen gezeigt hatte, stimmte Barry Lichtenstein das ergreifende Kaddisch-Gebet an. Zur Ehre der Toten legten sie kleine Steine auf ihre Grabsteine.

Zuvor hatte Walter Karbach die Besucher zu der Stelle neben der Synagoge geführt, wo einst das Haus der Familie stand, und zu den Häusern, in denen bis zu ihrer Emigration bzw. Deportation die Oberweseler Juden wohnten: Die Familien Mayer, Marx, Seligmann, Gerson und Frenkel. Ihre Namen stehen auf dem Gedenkstein am Schaarplatz. An einigen Häusern erinnern Stolpersteine an ihre früheren Besitzer. Sie machten auch an dem Haus in der Liebfrauenstraße halt, wo der bewegliche Besitz der deportierten Juden 1942 öffentlich versteigert worden ist.

Am Abend waren die Besucher Gäste der Stadt Oberwesel in der Weinstube „Zum Lamm“, wo sich auch die Beigeordneten und die Sprecher der Fraktionen eingefunden hatten. Stadtbürgermeister Stiehl hieß die Familie Lichtenstein herzlich willkommen.

Er betonte in seinem Grußwort, dessen englische Fassung von Christian Büning vorgetragen wurde: „Es ist mir ein wichtiges Anliegen, die Erinnerung an unsere früheren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger zu bewahren. Das Unrecht, das ihnen angetan worden ist, darf niemals vergessen werden. Ihr Beitrag zum Leben in unserer Stadt als verantwortungsvolle und pflichtbewusste Bürgerinnen und Bürger ist dauerhaft zu würdigen. Mögen die Beziehungen zwischen den Nachkommen Karl Lichtensteins und der Stadt Oberwesel auch in Zukunft Bestand haben.“ Stadtbürgermeister Stiehl überreichte den Gästen eine von Doris Spormann und Walter Karbach eigens erstellte Broschüre mit historischen Fotos zur Geschichte ihrer Familie (Bestellungen der Broschüre bei Walter Karbach:
E-Mail: walter.karbach@web.de). Karl-Heinz Lichtensteins Tochter Carole Skowronski bedankte sich tief bewegt im Namen der Famlie.

Die Familie Lichtenstein lebte bis 1942 in ihrem Haus neben der Synagoge auf dem Oberweseler Schaarplatz, wo heute das Hotel Augustin steht. Theo Lichtenstein, der Vater von Karl-Heinz, Günther und Ruth und verheiratet mit Selma, geb. Strauß, betrieb dort eine Metzgerei, die er von seinem Vater Karl Lichtenstein übernommen hatte.

Am 27. Juli 1942 wurde die Familie zusammen mit den letzten Oberweseler Juden zum Bahnhof getrieben und vom Güterbahnhof Koblenz-Lützel in das KZ Theresienstadt deportiert. Karl-Heinz Lichtenstein war 20 Jahre alt, seine Schwester Ruth war mit 11 Jahren die jüngste, sein Opa Karl mit 86 Jahren der älteste. Das Haus und ihr Hab und Gut hatten sie schon am 2. April abgeben müssen. Zuletzt waren sie in Adi Seligmanns Haus auf dem Heumarkt zusammengepfercht mit den Juden, die nicht schon am 2. April ins Sammellager nach Bad Salzig gebracht worden waren, um sie „in den Osten“ zu verschleppen.

Wie durch ein Wunder überlebten der alte Karl Lichtenstein, seine Schwiegertochter Selma, ihre drei Kinder sowie Karls Neffe Herbert, Willy Lichtensteins Sohn, das Lager. Theo Lichtenstein und seine Nichte Meta waren in Auschwitz ermordet worden. Die Überlebenden kamen am 25. Juli 1945 zurück nach Oberwesel. Der von den Amerikanern eingesetzte Bürgermeister Ludwig Schaus half ihnen, zumindest einiges von ihrem 1942 versteigerten Hausrat zurückzubekommen.

Ein Jahr später verließen sie ihre Heimatstadt und zogen nach New York, da sie in Oberwesel keine Zukunft sahen. Es war ein schwerer Neuanfang in der Fremde. Karl-Heinz heiratete seine Leidensgenossin Irene Wolff, geboren in Kobern, sie bekamen zwei Kinder: Carole und Barry. Karl-Heinz starb schon in jungen Jahren an den Folgen der KZ-Quälerei.

Karl Lichtensteins Eltern und seine Frau sind auf unserem Jüdischen Friedhof begraben, auch sein ältester Sohn Willy, der 1937 bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam. Dort steht der Name seines jüngsten Sohnes Moritz auf einer Gedenktafel, die an die im Ersten Weltkrieg gefallenen Oberweseler Juden erinnert.

Walter Karbach

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